Alleinsein

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Er verabschiedete sich von einer Gruppe Studenten und machte sich auf den Weg in meine Richtung. Ich hatte mich gerade auf die riesige Wiese in die Abendsonne gesetzt und genoss, mit einem Kaffeebecher in der Hand, das Alleinsein. Mein Zug sollte in einer halben Stunde gehen und wenn sich die Gelegenheit ergab, nutzte ich sie immer gerne, um Zeit vor dem alten Uni-Gebäude zu verbringen.
So viele verschiedene Menschen kamen hier zusammen!

Schlendernd kam er näher. In seinen Händen hielt er eine Gitarre, an seinem Hals hing ein beschriftetes Stück Karton. Ich hatte allerdings kein Kleingeld in der Tasche und noch viel weniger Lust, das erklären zu müssen - mein Blick dürfte unmissverständlich gewesen sein.
Unbeirrt stellte er sich vor mich, lächelte, spielte und sang leise dazu. In der Tat konnte er das sehr gut, ungepflegt sah er auch nicht aus. Er war in meinem Alter und ich fing an, seinen Karton zu lesen: Music for food, place to sleep or nice company. Please NO money!

Er sang den starken Song Society von Eddie Vedder, den ich aus dem Film Into The Wild kannte.
Als sein Ständchen langsam verstummte, sagte ich: Great film and a great song. Thank you very much! Ich stellte lieber gleich klar, dass ich weder mit Essen noch einem Schlafplatz dienen konnte. Mein Kaffee war leider auch schon leer. May I sit here with you for a while?, fragte er mich und legte seinen großen Rucksack und die Gitarre ab, als ich nickte. Ich bemerkte seinen Akzent und wir setzten unser Gespräch bald auf Spanisch fort. Ich glaube, wir genossen beide gleichermaßen, wieder einmal Spanisch zu sprechen!

Er war Gitarrenlehrer aus Madrid, der sich zum Ziel gesetzt hatte, ganz ohne Geld für ein Jahr in Europa zu reisen. Sozusagen Tramper, Couch Surfer und Streuner - alles zugleich. Aber immer angewiesen auf fremde Hilfe. Ich bewunderte sein Vorhaben und wir redeten über Spanien, Deutschland, die Arbeitssituation und die Leute, die er auf diese Weise kennen lernte. Ich fragte ihn, ob er nicht Angst hätte. Wenn er keine Unterkunft fand, verbrachte er auch schon mal Nächte da draußen. Da merkt man, dass man alleine ist, sagte er.
Als Frau wäre eine solche Reise undenkbar, da stimmte er zu. Aber auch so ist die Sache nicht einfach... eine große Lücke im Lebenslauf. Eigentlich, so fanden wir beide, eine Unart: Ein solches Vorhaben sollte nicht als Lücke, sondern als Bereicherung gelten. Es zeigt gesellschaftlichen Mut, vielleicht zu viel Mut. Ich bewunderte das, denn ich hätte ihn nicht. Selbst jetzt, während der Arbeitssuche und während des Wartens... da kommen einem manchmal auch solche Gedanken. Aber zu groß wäre die Angst, ein Jahr später wieder an der gleichen Stelle zu stehen. Ich denke dennoch oft an dieses Gespräch zurück.

Sein Weg sollte weiter nach Süden, Heidelberg, Bayern und dann Richtung Italien führen.
Ich ärgerte mich, dass ich nichts Bares bei mir hatte, um ihm wenigstens etwas beim Bäcker besorgen zu können - immerhin fand ich noch einen Müsliriegel in meiner Tasche. Ich gab ihm aber außer Tipps für Bayern noch etwas Anderes mit auf den Weg. Auf der Rückseite seines Kartons notierte ich ihm einige deutsche Wörter und Sätze, die er auf seiner weiteren Reise in Deutschland gebrauchen konnte, mit phonetischer Übersetzung. Er strahlte und bedankte sich vielmals. Ich ließ sie ihn vorlesen und das klappte auch ganz gut. Wir lachten und er bedankte sich für das Gespräch voller Inspirationen, dann mussten wir beide wieder los.

Ich bin heute noch froh, vor knapp zwei Jahren mit diesem jungen Gitarrenlehrer gesprochen zu haben, denn dieses Gespräch warf viele Fragen auf. Solche Menschen sind wichtig. Sie erinnern uns an das Wesentliche.
Sicherlich brachte ihm die Reise viele lehrreiche Erfahrungen... Ich hoffe, er hat sein Ziel erreicht!

arcoiris